MadMatt Ich teile viele deiner Sorgen—bei den existenziellen Herausforderungen, mit welchen die Menschheit und der Planet momentan (und für den Rest unserer Lebzeiten) zu kämpfen haben, finde ich es zutiefst entmutigend, wie sehr unsere politische Aufmerksamkeit der moralischen Panikmacherei wie etwa der Anti-Trans-Hysterie verfallen ist. Neu ist das allerdings nicht, denn "Divide and Conquer" ist der älteste Trick, mit dem Reiche, Mächtige, und Verfechter des Status quo den Zorn einer ausgenutzten Bevölkerung auf politische Minderheiten umlenken können.
Angesichts der unfassbaren Grössenordnungen der heutigen Krisen ist es jedoch umso wichtiger, auch die vergleichsweise weniger weitreichenden Probleme nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn wir erst warten, bis das Klima gerettet ist, bevor wir uns etwa für LGBTQ+-Rechte einsetzten, ebnen wir damit den Weg für eine sehr düstere Zukunft für sehr viele unserer Mitmenschen. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Ich finde es grossartig, dass dir das Tierwohl so wichtig ist. Ein häufiges Scheinargument gegen den Veganismus ist, dass wir zuerst die Probleme des Menschen lösen sollen, bevor wir uns dem Tierwohl widmen können. Die Realität ist aber, dass der Kampf für eine vernünftige und gerechte Welt nun mal auf mehreren Fronten gleichzeitig stattfindet, und dass diese Fronten oftmals stärker miteinander verwickelt sind als es scheint.
Einige weitere Kommentare:
Feminismus ist nicht gleich Feminismus, da gibt es sehr unterschiedliche Ausrichtungen mit teilweise gegensätzlichen Zielsetzungen. So versteht sich J.K. Rowling ebenso als Feministin wie die meisten ihrer Kritiker*innen. Ich stimme dir zwar insofern zu, dass es ungerechtfertigt ist, Individuen zu verteufeln, nur weil sie das neue HP-Game spielen möchten. Die Kritik an Rowling selbst ist jedoch berechtigt, und ich finde es wichtig, dass die Leute sich zumindest bewusst sind, was die Hintergründe dieser ganzen Angelegenheit sind. Dein Beispiel mit den Ampelfrauen hingegen ist mir neu und hört sich ein bisschen nach einer dieser skurrilen Geschichten an, welche von dubiosen Akteuren und sensationshungrigen Medien hochgeschaukelt werden. Als kritisch denkende Menschen müssen wir uns immer die Frage stellen, ob solche Anekdoten auch repräsentativ sind, oder ob sich jemand eine Kuriosität herausgefischt hat, um uns möglicherweise gegen ein nebulöses Schreckgespenst namens "Feminismus" zu empören.
Themenwechsel: Jeder, der dir sagt, du dürftest als Weisser keinen Reggae hören, labert selbstverständlich Unsinn. Ich wäre jedoch vorsichtig, aus dieser unangenehmen Erfahrung irgendwelche grösseren Schlüsse bezüglich BLM zu ziehen, denn ich bin mir sicher, dass es dem absoluten Grossteil der Menschen egal ist, welchen Musikstil du hörst. Ich denke auch, die meisten Musikschaffenden sind für jegliche Unterstützung dankbar, ungeachtet der ethnischen Herkunft ihrer Zuhörerschaft.
BLM ist ein Slogan und eine soziale Bewegung, dessen Ziel es ist, auf den systemischen Rassismus vor allem in den USA aufmerksam zu machen. Der Slogan impliziert auf keine Weise, dass nicht-schwarze Leben weniger wert sind. Der Satz "all lives matter" im wörtlichen Sinn wird dabei von einer Anti-Rassismus-Bewegung wie BLM als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Als konservativer Slogan und rassistische Dog Whistle ist "All Lives Matter" (grossgeschrieben) jedoch eine explizite Reaktion auf die BLM-Bewegung und hat somit das Ziel, die Existenz des systemischen Rassismus zu verschleiern oder gar zu leugnen. (Wobei ich natürlich nicht glaube, dass das hier deine Absicht war)
In deinem Post steckt viel aufrichtiger Zorn drin, was grundsätzlich nicht verkehrt ist. Auch ich kenne diesen Zorn sehr gut. Allerdings finde ich es wichtig, dass wir die folgende Weisheit von Aristoteles nie aus den Augen verlieren:
Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.