BentoBox Dennoch hat man vor zwei Wochen keine Pro-Palästinensischen Demonstationen und virtue signalling auf Social Media gesehen. Das kam erst nach Kriegsbeginn, deshalb sehe ich das auch nicht als aufrichtig an sondern als Teil antisemitischer Propaganda um die Palästinenser in diesem Krieg zu unterstützen (Stichwort: Hybrid Warfare).
Ich wollte zuerst nicht auf diesen Teil eingehen, aber diese pauschalisierten Antisemitismus-Vorwürfe sind wirklich das Letzte und kann ich so nicht stehen lassen, insbesondere als jemand, der Antisemitismus auch wirklich ernst nimmt und nicht mit diesem Begriff von singulärer historischer Schlagkraft verantwortungslos um sich her schleudern will.
Zuerst einmal finde ich es unverständlich, wie du die Kausalität bezüglich der weltweiten Reaktionen zur Eskalation im Nahen Osten in ein solch zynisches Narrativ verdrehen kannst. Die weltweite Solidaritätsbewegung mit Palästina ist über Jahrzehnte entstanden und hat sicher nicht erst letzte Woche angefangen. Und wenn eine Situation explosionsartig eskaliert, ist es ja selbstverständlich, dass auch die weltweite Aufmerksamkeit dementsprechend zunimmt. Wenn nächsten Monat Aserbaidschan einen Krieg gegen Armenien starten sollte oder sich die Situation der Kurden in der Türkei schlagartigen verschlechtern sollte, würden auch Proteste zu diesen Regionen wieder vermehrt aufkommen. Allerdings ist auch klar, dass niemand überall alles gleichzeitig verarbeiten und in Gedanken haben kann, was ist denn auch das für eine Forderung?
Gegen Menschen aus Palästina wird momentan wieder mal gehetzt, pauschalisiert und Panik betrieben. Gegen jüdische Menschen leider auch, natürlich gilt es das ebenso scharf zu verurteilen. Es gibt jedoch einen essenziellen Unterschied: Die eine Seite hat momentan umfassende institutionelle Unterstützung von der gesamten westlichen Politik- und Medienmaschine, die andere Seite wird von eben dieser Maschine weitgehend ignoriert oder gar dämonisiert. Und nein, es geht hier nicht um rechte Verschwörungstheorien im Sinne von "die Juden kontrollieren die Banken" oder sonst ein Mist, sondern um das geopolitische Interesse der USA an einem Verbündeten im Nahen Osten.
Zu den Demonstrationen:
Die Angst und Wut des palästinensischen Volkes sind allemal gerechtfertigt. Natürlich kann das in vereinzelten Fällen in Antisemitismus ausarten, das geht zu weit und ist nicht zu entschuldigen, so sehr man anhand der huamnitären Katastrophe in Palästina verstehen kann, wie es zu einem solch irrationalem Hass kommen konnte. Wer jedoch die palästinensische Bewegung in ihrer Essenz als antisemitisch pauschalisiert, begeht genau denselben Fehler, nur auf anderen Wegen (in den meisten Fällen durch Propaganda).
Dieses kurze Video mit Demonstrierenden sollte man mal gesehen haben. Da sind viele junge Leute, die sich um das Leben ihrer Angehörigen bangen, die die Besatzung und den Konflikt nur noch satthaben und einfach nur Frieden sehen wollen. Wer meint, diese Menschen seien von vulgärem Antisemitismus motiviert, hat entweder ein zynisches, menschenverachtendes Weltbild oder hat sich nie umfassend mit der Materie beschäftigt und wird von einem simplifizierenden Mediennarrativ geleitet. Ein paar Eindrücke aus dem Video:
Israeli are not going anywhere, Palestinensians are not going anywhere, so it's better that we all unite against a violent regime and get Netanyahu out of power and finally find a solution for peace.
You don't have to be pro Pro-Palestinian, you don't have to be Pro-Israel, you have to be pro human being, pro-humanity, okay? That is what this is about. People don't need to die like this. [This] is gonna go down in history books, like the Native Americans. One day we're gonna read about it and have "Palestine commemoration day." "Oh we're so sorry for what happened to them, boohoo." No! We can stop it, now!
My family lives in Israel, are Jewish, but I have always felt that Palestine's been horrendously oppressed, and I think it's really important that we can decouple solidarity with Palestine from criticism of Judaism, which is a totally separate issue. [...] I think we can say that Jewish children deserve not to die, whilst also saying that Palestinian children deserve not to die, and unfortunately, this conflict is not an even playing field, so this voice really needs to be heard.
Generell wundere ich mich: Warum fällt es vielen Menschen im Westen so schwer, Palästinenser als Menschen zu sehen und nicht mit antisemitischen Terroristen zu verwechseln? Die Apartheid-Politik der israelischen Regierung zu verurteilen und gleichzeitig Antisemitismus auch wirklich ernst zu nehmen und nicht mit dem vorherigen Punkt zu vermischen?
Nun denn, Chomsky und Hermann haben in Manufacturing Consent bereits ausführlich zu dieser differenziellen Behandlung von Leidtragenden geschrieben. Aus dem Kapitel "Worthy and Unworthy Victims":
A propaganda system will consistently portray people abused [by] enemy states as worthy victims, whereas those treated with equal or greater severity by its own government or clients will be unworthy. The evidence of worth may be read from the extent and character of attention and indignation. […] While this differential treatment occurs on a large scale, the media, intellectuals, and public are able to remain unconscious of the fact and maintain a high moral and self-righteous tone. This is evidence of an extremely effective propaganda system.
Diese Dynamik sehe ich so wirklich eines zu eins in breiten Teilen der westlichen Politlandschaft. Gestern Abend etwa: Rishi Sunak mahnt in einer langen Rede vor Antisemitismus (lobenswert) und…. verkündet dabei Israel seine "unqualifizierten Unterstützung", ohne auch nur einmal die Situation der palästinensischen Bevölkerung in Gaza zu erwähnen (absolut furchterregend). Als ob es die Zivilbevölkerung nicht gäbe. Was soll man aus dem Wort "unqualifiziert" denn anderes lesen als eine Carte blanche für das IDF, Gaza in einen Trümmerhaufen zu verwandeln? Selbst Biden hat irgendwo am Rande mal Israel zu einer "proportionalen" Reaktion gemahnt. Ob dieses Wort auch ernst gemeint ist und die israelische Regierung von den USA zur Rechenschaft gezogen werden sollte, falls in Gaza ein Massaker entsteht, darf man bezweifeln.