(Post zur Netflix-Adaption; kein Bock, extra dafür nen Thread zu eröffnen.)
Dies vorweg: Das Original von Shinichiro Watanabe und Studio Sunrise liegt mir äusserst nah am Herzen, hab die Serie auch mindestens dreimal vollständig gesehen und halte sie für ein zeitloses Meisterwerk, das es wirklich mit den allerbesten Werken der Serienwelt aufnehmen kann.
Die Realverfilmung von Netflix wird momentan scheinbar vom halben Internet durch den Dreck gezogen, natürlich nicht ganz zu Unrecht, denn kulturelles Recycling dieser Art verdient durchaus seinen Spott. Aber mal abgesehen davon, dass es sich hierbei um eine wirklich unnötige Adaption eines vorhandenen Werks ist, muss ich doch sagen: Meiner Ansicht nach ist der Vorwurf der Inkompetenz eher angebracht als der der Faulheit. Denn eine gewisse Ambition ist hier durchaus zu spüren: Risiken wurden eingegangen, empörte Fans in Kauf genommen, und quantitativ überwiegt das neue Material deutlich die Anzahl an (ausnahmslos minderwertigen) shot-for-shot Imitationen aus dem Original.
Schade nur, dass nicht genügend Zeit/Talent/Budget vorhanden war, um diese Ambition auch wirklich in ne solide Serie umzusetzen. Vor allem Inszenierung, Drehbuch, Schnitt und Kamera stechen oftmals negativ (teilweise sehr negativ) hervor; die Darbietungen schneiden etwas besser ab, aber halt auch nichts Weltbewegendes. Der Soundtrack wäre dank wiederkehrender Originalkomponistin Yoko Kanno theoretisch der stärkste Punkt der Serie, leider wird ihre Musik aber nur selten so effektiv und ungezwungen eingesetzt wie im Anime.
Die Charaktere sind teils vage den Originalen nachempfunden, teils aber auch drastische Neuinterpretationen (vor allem Faye, Vicious, Julia und Anna). Damit bin ich prinzipiell auch einverstanden, denn akribische Authentizität zum Original halte ich nicht unbedingt für den optimalen Massstab in dieser Hinsicht. Watanabes Serie wird sowieso nicht übertroffen, also lieber mangelhafte Reinterpretation mit neuen Ideen als drittklassige Kopie mit gar nichts.
Auf jeden Fall hat das kameradschaftliche Geplänkel der Charaktere auch in dieser veränderten Zusammensetzung einen nur schwer zu widerstehenden Reiz. Daniella Pinedas Charakter hat mir wahrscheinlich sogar am meisten Spass bereitet (an dieser Stelle auch nen saftigen Mittelfinger an die Internettrolle, die sich über ihr realistischeres Kostüm empört haben), auch wenn ich zögere, ihren Charakter als Faye zu bezeichnen, denn es handelt sich hierbei wirklich einfach um eine (fast) komplett andere Rolle. Radical Ed in Echtfilm ist ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit, bin daher nicht enttäuscht, dass einer meiner Lieblingscharaktere (fast) ganz weggelassen wurde.
Der kontinuierliche Plot in Form von Spikes Auseinandersetzung mit dem Syndikat ist (verglichen mit dem episodischen Format des Animes) wohl auf effektivere Massentauglichkeit zurückzuführen, dennoch fand ich diesen Teil eine durchaus interessante Interpretation der Hintergrundgeschichte dieser Charaktere (auch wenn Vicious ist ziemlich krass fehlbesetzt ist). Die beiden letzten Episoden werfen zwar einen (nicht ganz unberechtigt) kritischen Blick auf Spike, leider geht das Ende doch noch in die Hosen, unter anderem auch, weil es nicht wirklich auf eigenen Füssen steht und lieber die Möglichkeit auf eine zweite Staffel offenlassen möchte.
Nun denn, Fazit: Wenn man mit entsprechend tiefen Erwartungen einsteigt (und bei dieser Ausgangslage gab es ohnehin nie einen Grund, optimistisch zu sein), lauern hier einem nur wenige böse Überraschungen auf, dafür vielleicht die ein oder andere positive. Trotz aller Schwächen in der Umsetzung hat mir nämlich ein nicht vernachlässigbarer Teil überraschend viel Spass bereitet, aber halt auf ner oberflächlicheren Ebene verglichen zum Anime, denn der Netflix-Adaption fehlt es in dieser Hinsicht zweifelsohne an der existenziellen Melancholie und dem inszenatorischen Feingefühl des Originals.