Wie gesagt, ich werden diesen Thread als Möglichkeit nutzen, einige meiner Favoriten etwas näher vorzustellen. Ich fange mal mit einer Künstlerin an, die zumindest einige hier wahrscheinlich schon kennen werden:
椎名 林檎(Shiina Ringo)
Man darf ohne Übertreibung behaupten, dass es sich bei Yumiko "Ringo" Shiina um eine der bedeutendsten japanischen Singer-Songwriterinnen der letzten 20+ Jahre handelt. Die Multiinstrumentalistin, welche sich selbst als "Shinjuku-kei" Writer-Performer beschreibt, ist für ihren eklektischen und kunstvollen Pop/Rock Stil bekannt, der westliche und östliche Einflüsse zu einem einzigartigen Sound vereint. Seit 2004 ist sie zudem Frontfrau der Band Tokyo Jihen—ein solides Projekt, aber nicht mit dem Solo-Output ihrer Blütezeit von 1999-2009 zu vergleichen, welches ich ohne zu zögern an Legenden wie Bowie und den Beatles messe. In der Tat kriegt ihr akribisch strukturiertes und höchst experimentelles Meisterwerk 加爾基 精液 栗ノ花 (Karuki Samen Kuri no Hana) sogar mein Votum für das beste Pop-Album aller Zeiten. Es soll jedoch bemerkt werden, dass Ringo eine eher unkonventionelle und nasale Stimme hat, welche nicht allen sofort zusagen wird. Ich persönlich bin natürlich sehr begeistert von ihrer Gesangskunst und finde, dass in ihrer Stimme viel Persönlichkeit steckt—in dieser Hinsicht etwa vergleichbar mit anderen einzigartigen Talenten wie Björk und Kate Bush.
Mustersongs:
Marunouchi Sadistic (aus Muzai Moratorium, 1999): Ihr Debüt-Album basiert verglichen mit späteren Werken auf einem eher konventionellen J-Rock Sound, was es zu einem guten Einsteigerwerk macht. Vor allem aber sticht bereits hier Ringos unglaubliches Talent für einprägsame Melodien hervor—eine Gabe, welche sie in ihrem Nachfolgewerk Shōso Strip weiter verfeinern und mit einem idiosynkratisch-lautstarken Produktionsstil ausstatten wird. FUN FACT: Ringo und spezifisch dieser Song haben den Charakter Haruko aus FLCL inspiriert!!!
Gibusu (aus Shōso Strip, 2000): Rock-Ballade mit überirdisch leidenschaftlicher Performance von Ringo. Die Lyrics verweisen auf Kurt Cobain und Courtney Love, was dem Song eine zusätzlich tragische Dimension verleiht. Übrigens: Manche Leute scheinen sich nicht ganz so mit dem lauten Produktionsstil ihres Zweitalbums anfreunden zu können, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dahinter künstlerische Absicht steckt—Ringo ist in ihren frühen Jahren für ihren Punkrock-Ethos ebenso bekannt wie für ihren charakteristischen Griff zum Megafon. Nichts für Schlafmützen!
Honnō (aus Shōso Strip, 2000): Eine ihrer besten Singles, zudem ein ikonisches Video, in welchem Ringo in Krankenschwester-Uniform für das Recht von Frauen zu erotischen Fantasien einsteht. FUN FACT: Auch dieser Song diente als Inspiration für FLCLs Haruko!! (Quelle)
Shūkyō (aus Karuki Samen Kuri no Hana, 2003): Der gewaltige Auftakt in ihr exzentrisches Meisterwerk. Mehr Songs von KSK werde ich hier nicht posten, am besten hört man es sich das Album ununterbrochen von Anfang bis Ende an. Das selbstproduzierte Werk zeichnet sich durch eine abgefahren vielschichtige Instrumentation aus, welche an ein musikalisches Kaleidoskop erinnert und zu einem grossen Teil von Ringo selbst gehandhabt wird (fast zwanzig Instrumente spielt sie hier, inklusive Shamisen und Erhu). Insgesamt ein sehr eindringliches und gleichzeitig äusserst verspieltes Werk, welches Chaos und Eleganz gleichermassen verkörpert. Nur so als Beispiel: Der letzte Song beginnt als psychedelischer Raga-Rock und endet in einer Noise-Apokalypse mit einer gewaltigen Orgel im Zentrum. Und der Song davor? Ein Zirkusmarsch. You gotta hear it to believe it!
Meisai (aus Heisei fūzoku, 2007): Hierbei handelt es sich um einen neu arrangierten Song aus KSK und eine ihrer vielen Kollaborationen mit Violinist Neko Saitō. Vor allem benutzte ich diesen Song als Beispiel für Ringos Vorliebe für alternative Arrangements ihrer Musik: So sind Albums-Versionen ihrer Songs nur selten in Live-Auftritten zu hören und stattdessen oftmals mit zusätzlicher Orchestration ausgestattet, wenn nicht sogar gänzlich in einem neuen Genre interpretiert. In diesem Beispiel wird die Rock-Grundlage des Originals völlig verworfen zugunsten eines flotten Big Band Sounds, welcher in einem hitzigen Gefecht mit Saitōs Geige verwickelt zu sein scheint.
Ryokushu (aus Ongaku, 2021): Zu guter Letzt noch ein Beispiel eines ihrer neueren Songs mit Tokyo Jihen. Das Video ist sehr schön gedreht und schildert ein fröhliches Zusammentreffen der Band in einem Ryokan (traditionelles japanisches Gasthaus). Sakura-Freunde werden sich an einem atemberaubenden Moment während dem Höhepunkt des ersten Refrains besonders erfreuen. Das Video ist eine offene Zelebration japanischer Kultur, trotzdem sind westliche Einflüsse von Ringos Identität natürlich nicht zu trennen: So wird sich beim genaueren Hinschauen auch strategisch platzierte Symbolik bemerkbar machen—etwa ein Daishō, welches heimlich mit elektrischen Gitarren ausgetauscht wird. Inhaltlich ist der Song eine gut gemeinte aber eher politisch harm/inhaltslose Ode an die Freiheit und Ringos Landsleute; da bevorzuge ich doch deutlich die rebellischere Ringo aus früheren Jahren.
Übrigens ist Ringo gut befreundet mit Utada Hikaru. Bin grosser Fan von beiden und bereue es, dass ich in meiner Top 100 eben Hikki komplett übersehen habe... Auf jeden Fall hier ein etwas älteres Video, in dem Hikki Ringos "Tsumi to Batsu" imitiert. Echte Perle für J-Pop Fans. 😁