Warning: incoming roast. Nicht persönlich nehmen. Ich kenne durchaus intelligente, liebenswürdige Menschen, die Fans von dieser Serie sind. Alternative Perspektiven lese ich gerne!
Zuallererst: Die Popularität dieser Serie kann ich gut nachvollziehen. Autor Hajime Isayama hat in Bezug auf Worldbuilding und narratives Setup nahezu unwiderstehliche Arbeit geleistet. Konflikte mit irrsinnig effektiv konstruierten Spannungsbögen und spektakulär animierten Action-Cuts katapultieren Hype, Schock und Affekt bis in die Stratosphäre. Ich hab die einzelnen Staffeln jeweils mit grotesker Faszination in Rekordzeit durchgeschaut, oftmals angewidert und dennoch den Button für die nächste Episode gespammt, um zu sehen, wie es weitergeht.
Aber was haben mir zehn Jahre von Attack on Titan schlussendlich wirklich geboten? Ein Rückblick:
Blutbäder ohne Ende, Kriegstrauma bis zum Gehtnichtmehr, Instrumentalisierung von Holocaust-Symbolik ohne Scheu und Skrupel. Genozidale Wahnfantasien, die mit noch grösseren Genoziden gekontert werden. Ein so gewaltiger Militärfetisch, dass Call of Duty: Modern Warfare vergleichsweise nüchtern aussieht. Staatspropaganda, Imperialismus, Geschichtsrevisionismus, Apartheid, Paranoia, Rassenhetze. Sturz des Ancien Régime, Militärputsch und Gegenputsch. Make Eldia Great Again. Dünn verschleierte Anspielungen zu Artikel 9 der japanischen Verfassung. Nach echten Kriegsverbrechern modellierte Charaktere. Tausend Nahaufnahmen von Gesichtern voller Hass und Verzweiflung. Ab und zu ein Augenblick der Unbeschwertheit, etwas Introspektion, ein Gag hier und dort. Dann weiterschreien, weiterkämpfen, weitersterben. Heroische Aufopferungen, verzweifelte Kamikaze-Angriffe. Kameraden beweinen, Kameraden rächen, Kameraden in den Rücken stechen, Kameraden ins Grab folgen.
In den Wahn getriebene Väter. Lebendig aufgefressene Mütter. Zerstampfe Kindergesichter.
Gemetzel von mythologischem Gewicht. Tragik von kosmischem Ausmass.
Wofür das Ganze?
Politische Themen von höchstem Gewicht werden todernst ins Narrativ eingearbeitet—diese Geschichte will nicht nur unterhalten, sondern überzeugen. Wovon? Eine humanitäre Antikriegsbotschaft? Für mich greift diese Interpretation zu kurz. Krieg wird zwar als höllisch dargestellt, gleichzeitig aber auch als heroisch, notwendig, unvermeidlich. Eine Niederlage bedeutet den Tod, nur der Sieg garantiert das Überleben. Und wer nicht kämpft, kann nicht gewinnen. Die Zivilbevölkerung ist weitgehend ebenso hilflos wie nutzlos. Nur Soldaten können tun, was getan werden muss. Wir sind schockiert über ein türkisch(-codiertes) Flüchtlingskind, das grafisch explizit und in Zeitlupe von einem Koloss zerquetscht wird. Wenige Momente später geraten wir durch den Pathos von Hanjis ultra-heroischer, ultra-imposanter Selbstaufopferung in einen regelrechten Rausch. Dann ein bittersüsser Abschied von diesem beliebten Charakter: Ein erhabener Moment, in dem Hanji mit gefallenen Kameraden im Jenseits (im Himmel!) wiedervereint wird. Krieg als grausamste aller Verbrechen, Krieg als höchste aller Tugenden—so die Botschaft.
Opfert eure Herzen. In Klammern: Ihr glorreiches Kanonenfutter.
Ich denke, im Kern vertritt AoT ein infantiles, menschenverachtendes Weltbild, das es jedoch zumindest versteht, genügend humanistische Stränge und moralische Komplexität einzuarbeiten, um entsprechender Kritik bequemer ausweichen zu können. Dabei wird das Endresultat jedoch so inkohärent, dass man auch gegensätzliche Deutungen hineinlesen kann. Ohne Zweifel gibt es auch jene, die in dieser Serie einen Appell gegen Krieg und Imperialismus sehen—etwa James Beckett in seinen Reviews für ANN, die ich generell respektiere. Bei weitem öfter sehe ich jedoch von der Fanbase Reaktionen wie "Eren did nothing wrong", versteckt hinter einem hauchdünnen Schleier von Internet-Ironie, wenn überhaupt. Der Top-Kommentar auf Crunchyroll zur vorletzten Episode hat 20k Upvotes und liest sich “like if ur team eren”. Ich glaube nicht, dass das alles mordlustige Chauvinisten sind, sondern edgy Teenager, die, sagen wir mal, kritischen Umgang mit Medien noch nicht ganz gemeistert haben. Oder in den Worten des YouTubers FD Signifier:
If you watch anime, you should watch it with a condom on your brain.
Wahrhaft weise Worte. Entnommen aus seinem Essay ”Anime fans deserve better than Eren Jaeger”—eine längere Abhandlung über Anime und Männlichkeit, in der auch weitere Titel wie FLCL, Sword Art Online und Berserk besprochen werden. Kann ich durchaus empfehlen, man lernt aus diesen 90 Minuten mehr als aus 90 Episoden Titanen-Scharmützel.
Und zum Glück gibt es in der Tat bessere Alternativen zu Eren und seiner braun uniformierten Gang: Etwa Berserk und Vinland Saga, was die langfristige Entwicklung eines von Rache getriebenen Protagonisten angeht. Oder One Piece und Rose of Versailles für Antiimperialismus/-monarchismus und Revolution. (Wieder) Berserk und Devilman: Crybaby für Gore/Splatter und kosmische Tragik. Legend of the Galactic Heroes für episches Kriegs-/Politdrama in einem pseudo-historischen Setting. Keine dieser Alternativen ist ohne Probleme (insbesondere LOTGH), verspeisen aber allesamt Attack on Titan zum Frühstück.
Ich hätte noch einiges mehr zu sagen, etwa zum japanischen Nationalismus und Imperialismus, zur Ästhetik, zu Isayama selbst, zur Beziehung von Eren und Mikasa, aber der Post ist ohnehin schon zu lang. Nun denn, ich hoffe zumindest, dass die Hype-Blase dieser Serie genauso schnell platzen und aus dem kollektiven Bewusstsein verschwinden wird wie Game of Thrones. So, und nun sollte ich mich vielleicht besser ducken. 😅